Dienstag, 9. September 2008
Auf den Schultern von Riesen
Je älter ich werde - wobei das eine ziemlich relative Angelegenheit ist - desto mehr wird mir bewusst, dass ich einer von den Guten bin. Ich bin der der den Scheiss erledigt, der Teamplayer, das Arbeitspferd der Gruppe, der Kitt der alles zusammenhält. Was jetzt vieleicht ein bisschen nach Selbstbeweihräucherung klingt, stimmt aber gar nicht. Denn ich bin in genau diesen gesellschaftsbildenden Maßnahmen unerbittlich. Du willst nicht mitspielen, dich nicht integrieren, du hast deinen eigenen Plan, steckst aber dummerweise in dem selben Menschenhaufen wie ich? Dann haben wir ein Problem, um genau zu sein hast du eins. Denn ich werde langsam die Daumenschrauben anziehen, ich nenne es liebenswürdig "das noch oben offene Drei-Stufen-Eskalationssystem". Was eigentlich nur bedeutet, dass am Ende beide keinen Spass mehr haben: Ich nicht, weil ich mir Tag und Nacht pädagogische Maßnahmen überlege, die ich dir angedeihen lassen werden und du nicht, weil du am Empfängerende sitzt.

Ich kann Individuuen nicht ausstehen, sie kotzen mich an. Ich bin ein großer Fan des kleinsten gemeinsamen Nenners, ich glaube an die Gemeinschaft, zwanghaft. Denn wissenschaftlich betrachtet gibt es keine Individuuen, nur Unschärferelationen. Aber lassen wir das, ich bin eine vom Aussterben bedrohte Art. Ich sollte mir einen Schaukelstuhl besorgen und mir das Treiben in aller Seelenruhe ansehen, wie langsam der ganze Haufen Auflösungserscheinungen zeigt, weil jeder für alles und keiner für nichts verantwortlich ist. Die Amerikaner haben eine tolle Definition dafür: "Sometimes you have to take one for the team". So funktioniert das eben, ihr könnt nicht einfach so ein Stück vom Kuchen haben. Jemand muss ihn backen.

Aber das wollt ihr nicht, denn ihr habt so viel wichtigeres zu tun. Ihr müsst noch eure Wäsche waschen, dringend zum Zahnarzt oder habt "was Wichtiges" vor. Irgendwie schafft ihr es trotzdem damit durchzukommen, ich hab wirklich keine Ahnung warum. Wie gesagt es, gibt nicht mehr viele von uns und mit jedem Tag werden es weniger. Manchmal fühle ich mich unendlich alt, vor allem dann wenn jemand mit großen Augen vor mir steht und mich fragt, wann denn jemand was gegen das Leck im Wasserrohr unternimmt. Ein Leck im Wasserrohr! Ich bin wirklich froh, dass es nur noch selten Gasleitungen gibt. Die Zahl der gesprengten Haushalte würde sich mit Sicherheit innerhalb kürzester Zeit verdreifachen: "Würde jemand bitte den Gashahn zudrehen, damit ich endlich rauchen kann?"

So seid ihr, steht knietief in euren Exkrementen und fragt "Wer macht das jetzt weg?" - ich meine das sprichwörtlich, ich hab es gesehen.

Sowas macht aus netten Gesellschaftsgläubigen böse Gesellschaftsgläubige. Ernsthaft, inzwischen glaube ich, dass sich der Satz "die Würde des Menschen ist unantastbar" nur noch mit einem Knüppel durchsetzen läßt. Ihr würdet sie einfach wegwerfen für 15 Minuten mit Dieter Bohlen, nach denen euch zwar der Hintern brennt, ihr aber schonmal all den anderen da draußen ein "Achievement" voraushabt. Nicht von ungefähr hat die Spieleindustrie diese überaus elegante Methode entdeckt Tretmühlen der Richtung "töte 300 Gegner mit einem Kopfschuss, um das Sniperachievment zu erhalten" in nahezu jedes neue Spiel einzubauen. Sowas züchtet asoziale Penner, die auf Bergen sitzen, während das Team massakriert wird. Hab ich schon erwähnt, dass ich euch nicht ausstehen kann?

Wundert euch bitte nicht, dass ich euch mit allen zur Verfügung stehenden Mittel das Leben schwer mache. Ich mache das nicht gern, ich hab auch "Wichtiges" zu tun. Aber ich glaube an euch, unbarmherzig. Da gibt es ein anderes gutes Sprichwort:

"Was das Wort nicht heilt, das heilt das Kraut. Was das Kraut nicht heilt, das heilt das Eisen. Was das Eisen nicht heilt, das heilt das Feuer. Was das Feuer nicht heilt, das heilt der Tod."

Ich stehe auf den Schultern von Riesen. Dafür bin ich dankbar, ich hätte einer von euch werden können. Ich hatte das Vergnügen in einem funktionierenden System groß zu werden, selbst der Fernseher war nicht böse zu mir. Ich bin stabil, der Fels in der Brandung. Ich behalte meine Spleens für mich, ich erzähle euch nichts von meinen Problemen, weil ich selten welche habe. Ich sehe eure Sorgen und muss grinsen, ich sehe was euch beschäftigt und muss lachen, weil es so schrecklich konstruiert ist. Es bereitet mir diebische Freude mich hin und wieder aus dem Kartenhaus, das ihr auf mich gebaut habt, zu befreien und den Teilen beim Zusammenpurzeln zuzusehen. Auch Felsen können sich mal schütteln und Gebirge hatten schon immer den Ruf hinterhältige Drecksäcke zu sein. Hin und wieder kann man, trotz guter Erziehung, der Versuchung nicht widerstehen. Ich bin nur ein Mensch, kein Kreuzritter - auch wenn ich gerne wie einer rede. Meistens habt ihr die Zeichen nicht gesehen, aber das geht in Ordnung. Ihr hattet vermutlich "Wichtiges" zu tun. Zündet euch die Zigarette ruhig an, ihr habt euch ja immer drauf verlassen können, dass ich den Gashahn zu mache, wenn ich das Haus verlasse. Das die Tür geknallt hat, ist mit Sicherheit dem Windzug zuzuschreiben...

Ich bin einer von den Guten. Denkt drüber nach...

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren